Der Streit zwischen dem Internationalen Olympischen Komitee und dem Weltverband IBA wird mit harten Bandagen geführt. Ende März könnte es gar zum K.o. kommen – für Boxen als olympische Sportart. Doch es gibt Rettungsversuche, wie der Präsident des niederländischen Boxverbandes im Interview verriet.
BS: Herr van der Vorst, das IOC droht damit, das Boxturnier bei Olympia 2024 abzusagen. Wie groß ist die Gefahr, dass es nicht stattfindet?
Van der Vorst: Ich hoffe wirklich, dass das IOC weiterhin über alle Verfehlungen der IBA-Führung hinweg sieht, die Augen vor den Verstößen der IBA gegen die Olympische Charta verschließt und den Boxsport nicht aus dem Programm für Paris streicht. Die Athleten und Trainer trifft dabei keine Schuld – sie sind nicht in unfaire Kämpfe verwickelt, sie treffen keine schlechten Entscheidungen im Finanzmanagement und sie missbrauchen auch nicht die Richtlinien der Verbandsführung. Die Boxer sind die Opfer. Gemeinsam mit anderen Personen und nationalen Verbänden nutze ich diese Gelegenheit, um das IOC aufzufordern, das Boxturnier bei den Spielen in Paris aufrechtzuerhalten –trotz all dem Chaos, den die IBA angerichtet hat.
Der Weltverband IBA sorgte in den letzten Jahren immer wieder für Skandale und bleibt vom IOC suspendiert. Was muss sich konkret ändern?
Das IOC hat sich Zeit genommen, die Situation in der IBA, die damals noch AIBA hieß, seit 2017 zu verfolgen und zu analysieren. 2019 wurde ein Bericht des Sonderuntersuchungsausschusses vorgelegt, auf dessen Grundlage die AIBA als olympischer internationaler Sportverband suspendiert wurde. In diesem Bericht hat das IOC drei wichtige Bereiche hervorgehoben, die Anlass zur Sorge geben: Führung, Finanzmanagement und das Management der Wettkampf-Offiziellen, im Klartext: Es ging um unfaire Kampfurteile. Kurz gesagt: Das IOC benötigt einen Kulturwandel im Boxsport, um all die Risiken zu beseitigen, die die AIBA für die olympische Bewegung darstellt. Mitte 2022 hatte das IOC genau dieselben Bedenken. Die AIBA hat ihren Namen zwar in IBA geändert, aber Führung und Managementkultur sind gleich geblieben. Seit 2020 gab es eine Reihe von Änderungen auf dem Papier, aber die Umsetzung dieser Reformen kam nie zustande.
Worin sehen sie das Hauptproblem?
Für mich besteht es darin, dass die IBA immer noch kein ordnungsgemäßes Management für Wettkämpfe und Offiziellen geschaffen hat, und es fehlt an einer unabhängigen Überwachung des Kampfrichterwesens. Das Olympische Komitee verfolgt den Boxsport sehr genau, und die Integrität der IBA-Wettbewerbe ist ihr Hauptanliegen. Es ist seit langem klar, was getan werden muss, damit die IBA und der Boxsport in der olympischen Familie bleiben. Aber die IBAFührung war weder willens noch in der Lage, dies umzusetzen. Nicht einmal im Entferntesten.
Bei den Spielen 2028 in Los Angeles ist bislang kein Boxturnier vorgesehen. Was bedeutet das für die Zukunft?
Die Tatsache, dass Boxen vorerst nicht Teil der Spiele 2028 ist, ist für unseren Sport beispiellos und bereitet mir sowie vielen anderen Personen und nationalen Verbänden große Sorgen. Wird der Boxsport ausgeschlossen, befindet er sich in ernsten Schwierigkeiten. Zahlreiche nationale Verbände auf der ganzen Welt werden jegliche Unterstützung seitens ihrer Regierungen und Nationalen Olympischen Komitees (NOK) verlieren und aufhören, zu existieren. Ich habe mich dazu entschieden, daran zu glauben, dass Boxen olympische Sportart bleibt. Und ich weiß, dass es viele unterdrückte Boxverbände gibt, die das ebenfalls wirklich wollen.
Kann die Gründung eines neuen Weltverbandes die Lösung sein – und würden Sie als Präsident kandidieren?
Die meisten nationalen Boxverbände auf der Welt sind durch ihre Statuten an das olympische Boxen gebunden. Die finanzielle Förderung durch NOKs und Regierungen ist mit einer Teilnahme – oder zumindest mit der Aussicht darauf – an den Spielen gebunden. Wenn das IOC also beschließt, der IBA die Anerkennung zu entziehen, weil sie ständig gegen die Olympische Charta verstößt, dann sollten alle Optionen auf dem Tisch liegen, um das Überleben des Sports, der nationalen Verbände und des olympischen Traums für Millionen von Boxern auf der ganzen Welt zu sichern. Gleichzeitig möchte ich klarstellen: Die Kandidatur für das Amt des Präsidenten war für mich immer nur eine Möglichkeit, den Boxsport in der olympischen Bewegung zu halten und dafür zu sorgen, dass er aus der Krise herauskommt, in der er sich befindet. Dies wird auch meine Entscheidungen bestimmen, die ich in der Zukunft treffen werde.
Ohne Förderung wären die Karrieren der meisten olympischen Boxer am Ende. Wie können sich die Sportler selbst wehren?
Die Athleten sind Opfer der Misswirtschaft des Weltverbandes, Opfer der IBA-Kultur der Angst, die bis heute vorherrscht. Sie hat ihre Mitglieder, darunter auch die Boxer, in der Vergangenheit mehrfach falsch informiert. Die IBA-Führung versucht, die Wut der Athleten auf das IOC zu lenken – während es die IBA ist, die die Boxer im Stich lässt. Ich weiß, dass es immer noch viele Sportfunktionäre in der Welt gibt, die bereit sind, für den olympischen Traum ihre Boxer zu kämpfen. Das ist das einzige Szenario, auf das ich mich konzentriere. Wir müssen das Boxen olympisch halten, mit oder ohne die IBA.
(Interview: Frank Schwantes)
Viele weitere Informationen rund um das Thema „Boxen vor dem Olympia-K.o.“ findet ihr in der neuen Boxsport. Hier geht es zur Ausgabe.